News 09.04.2025

Graubünden entdeckt den Kulturtourismus

Saalansicht des Bündner Kunstmuseums mit Werken von Gözde Ilkin (links), Bethan Huws (hinten Mitte) und Notta Caflisch (rechts)
Der Artikel von David Gadze im Kulturmagazin Saiten beleuchtet die Entwicklungen in Graubünden, wo Kultur und Tourismus zunehmend miteinander verknüpft werden, um den Kanton als führende Kulturtourismusdestination der Alpen zu positionieren.

Eine strategische Neuausrichtung

Graubünden, bekannt für seine eindrucksvolle Natur, Wintersportorte und Outdoor-Erlebnisse, möcht sein Tourismusangebot und die Zielgruppen diversifizieren. Mit dem 2023 gestarteten Projekt graubünden Cultura soll Kultur künftig einen wichtigen Stellenwert einnehmen – als Antwort auf den Klimawandel und die sinkende Planbarkeit der Wintersaison. Ziel ist es, Graubünden als führende Kulturtourismusregion der Alpen zu etablieren.

Das Projekt graubünden Cultura

Das Projekt wird vom gleichnamigen Verein getragen und ist für vier Jahre (bis 2027) durch Mittel der Neuen Regionalpolitik (NRP) finanziert. Dabei geht es nicht um den Aufbau neuer Kulturinstitutionen, sondern um die Sichtbarmachung und Stärkung des Bestehenden: graubünden Cultura bringt zusammen, was oft getrennt arbeitet – Kulturveranstalter und Tourismusakteure, Gemeinden und Regionen, Initiativen und Institutionen.

Im Fokus steht der Aufbau tragfähiger Netzwerke über die teils abgelegenen Täler hinweg, eine klarere Kommunikation kultureller Inhalte im touristischen Marketing und die intelligente Nutzung bestehender Infrastruktur. Dabei wird Kultur nicht als Kulisse gedacht, sondern als Teil der regionalen Identität: Angebote sollen aus dem Ort heraus entstehen, nicht von aussen aufgepfropft wirken.

Die Herausforderungen sind nicht zu unterschätzen – fehlende Veranstaltungsorte, weite Distanzen, gewachsene Förderkonkurrenz in der Szene. Umso wichtiger sei es, wie Projektleiter Kaspar Howald betont, «eine andere Sensibilität für das Thema Kultur als Pfeiler des touristischen Angebots» zu entwickeln. Es brauche dafür, so Howald weiter, vor allem «Gestaltungswille, Kreativität und Improvisationstalent» – denn gerade der Mangel an klassischer Infrastruktur könne zur Stärke werden: durch Kulturformate, «die man so nur hier erleben kann».

Kultur als Identität und Abgrenzung

Laut Howald sei Kultur ein wichtiges Mittel, um sich im Wettbewerb mit anderen Regionen abzuheben. Eine kürzlich präsentierte Studie von Graubünden Ferien zeigte, dass Kultur als Reisemotiv in Graubünden oft nicht genannt wird. Dennoch betont Howald: «Kultur hilft, die Identität einer Destination zu schärfen und ist ein effizientes Werkzeug, um sich von Mitbewerbern zu unterscheiden.»

Graubünden im regionalen Vergleich

Der Fokus auf Kulturtourismus ist kein Alleingang von Graubünden, auch andere Regionen in der Ostschweiz setzen erfolgreich auf Kultur als touristischen Pfeiler, allerdings mit unterschiedlichen Schwerpunkten:

  • St. Gallen setzt auf seine institutionell gewachsene Kulturlandschaft, mit dem UNESCO-Weltkulturerbe (Klosterbezirk und Stiftsbibliothek) als Aushängeschild. Kultur- und Wissenstourismus sind dort strategische Hauptfelder, und der Austausch zwischen Kultur- und Tourismussektor wird aktiv gefördert.
  • Toggenburg hebt sich durch seinen klaren thematischen Fokus ab: Die Klangwelt Toggenburg verbindet Natur, Tradition und Musik und setzt auf eine starke lokale Verankerung. Der Begriff «Resonanztourismus» beschreibt den integrativen Ansatz, bei dem auch die lokale Bevölkerung eine tragende Rolle spielt.
  • Appenzellerland setzt auf Brauchtum und Traditionen als touristische Alleinstellungsmerkmale, etwa Silvesterchläuse oder Trachten. Hier wird bewusst auf sanften Tourismus gesetzt, wobei die Herausforderung darin liegt, eine Balance zwischen touristischer Zugänglichkeit und der Wahrung kultureller Authentizität zu finden.

Widerstände und Wirkung

Trotz positiver Impulse – wie der Erhöhung der kantonalen Kulturfördermittel um 600’000 Franken – gibt es auch Skepsis. Einige Kulturschaffende befürchten, dass die Kultur dem kommerziellen Tourismus geopfert wird. graubünden Cultura begegnet dieser Sorge mit einem partizipativen Ansatz: Seit März 2025 treffen sich Kultur- und Tourismusakteure regelmässig im Rahmen des Programms «Spazi avert & Ufficinas – da la ponderaziun a l’acziun». Es handelt sich dabei um ein partizipatives Format, bei dem sich Kulturschaffende und Tourismusakteure aus dem ganzen Kanton vierteljährlich treffen. Ziel ist der Austausch und die Entwicklung gemeinsamer Ideen, die von Arbeitsgruppen in lokale oder kantonsweite Projekte umgesetzt werden.

Titelbild des Artikels im Saiten Magazin von Davide Gadze mit Illustration von Nina Schweizer

Beitrag im Saiten Magazin

Den vollständigen Artikel im Saiten Magazin von Davide Gadze mit den Illustrationen von Nina Schweizer können Sie hier lesen.